Es ist doch noch ein Pilgerjahr geworden

 

Seit Mitte Juni war Casa Belén wieder offen.Wir hatten schon viel früher Anfragen über e-mail bekommen, aber wollten sicherheitshalber unsere eigene Impfung und den Fortschritt der Impfkampagne abwarten.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Wir hatten 20 Schnelltests aus Deutschland mitgebracht und davon vier an Pilgern durchgeführt (wegen Husten, Schnupfen etc), alle negativ.

Die Zahl der Pilger nahm ständig zu, so dass wir auf eine durchschnittliche Belegung von vier Betten täglich kamen, ähnlich mit einem vergleichbaren Zeitraum im Jahre 2019.

Auf den zahlreichen Jakobswegen waren 2021 geschätzte 180 000 Pilger unterwegs (2019: 350 000) und wir haben nur von zwei Corona Fällen in Herbergen  gehört. Da kam natürlich das Gefühl auf, dass es so schlimm nicht sein konnte. Unsere Achtsamkeit und Vorsichtsmaßnahmen litten darunter.

Lag es daran, dass Pilger den größten Teil des Tages an der frischen Luft waren, dass sie sich vor Beginn ihrer Wanderung impfen ließen (die große Mehrheit) oder dass sie allgemein fit waren, auch die älteren?

2021 war kein normales Pilgerjahr. Es fehlten die Koreaner und Japaner. Der europäische Anteil war höher als sonst. Im Baskenland waren alle öffentlichen Herbergen das ganze Jahr über geschlossen. Ich erklärte den verständnislosen Pilgern, dass die baskischen öffentlichen Herbergen alle von Rentnern geführt werden,(was ich selbst erlebt habe und gut finde), die aber wegen ihres Alters zu einer hohen Risikogruppe gehörten.

Es war immer wieder eine Freude Rückmeldungen von Pilgern zu bekommen, die es geschafft hatten.

Tobias (29)ist Sozialarbeiter, mit 21 ließ er sich das erste Tatoo machen, dann kamen Dutzende dazu. Er war schon zweimal in Taizé.

José (45) schickt ein Foto auf dem er, Arme und Beine weit gestreckt, vor der Kathedrale steht. Er lief mit 23 Kilo, was mit der Kofferwaage gemessen wurde. Er sagte geheimnisvoll: Wenn ich in Santiago ankomme, wird mein Rucksack viel leichter sein.

Die beiden Schwestern Tine (62) und Mieke (66) aus Gent, Belgien, hatten sich den schweren Camino Primitivo vorgenommen … und geschafft, Foto als Beweis.

Eine bleibende Erinnerung sind die Einträge ins Gästebuch.

Marcos (45) und Sheila (42), Madrid, waren sooo froh, dass sie bleiben durften, (an einem Tag, an dem eigentlich geschlossen war).

Joshua (44) aus Georgia (USA) ist Pastor, Musiker, Profi-Dolmetscher (engl./span) und Vater von vier Kindern. Er lief mit vier jüngeren Pilgern (CH, D,E, Columbien), die in ihm einen geistlichen Führer spürten.Er schreibt tiefgründig: (Schade, das Zitat wurde gelöscht.)

Ein junger Mann schreibt seine Zweifel am Glauben in rot:

DID YOU HEAR ABOUT THE DYSLEXIC, AGNOSTIC INSOMNIAC?

HE DREAMED THERE WAS NO DOG.

 

Es gab wieder viele fröhliche und buntgemischte Abende, manchmal auch ein einzelner Pilger. Ich mache mir immer kurze Aufzeichnungen über jeden, und wenn ich nachlese, wer alles an unserem Tisch gesessen hat, kann ich immer wieder staunen.

Am 11.September (der 20. Jahrestag des Terroranschlags)) feierte der polnische Franziskanerpater Valenty (39) eine Hl. Messe in unserer Kapelle. Er wurde begleitet von Maciej (30) und Kamil (32), die zu einer Bewegung ‚Kirche zu Hause‘ gehören (Bibel und Lebensfragen in Hauskreisen). Kamil spricht gut englisch und konnte die Predigt dolmetschen. Die Texte las Diego (26), ein Anwalt aus Mexico, auf spanisch.

An einem Montag war Wolfgang (69) der einzige Pilger, obwohl unsere Nachbarherberge montags geschlossen ist und deswegen in der Regel besonders viele Pilger zu uns kommen. Er ist aus dem Schwabenland (Stromberg), das Land der 1000 Hügel, und erzählt gerne von seiner Zeit als Motorrad Rennfahrer und zeigt Bilder von seiner Oldtimer 6 Zylinder Honda, die aber nur bei gutem Wetter aus der Garage geholt wird.

Remigius (38) ist Chirurg in Polen. Er hat die Wallfahrt nach Tschenstochow schon achtmal gemacht. Er trägt in seinem Rucksack eine Drone (Gewicht 1,2 Kg) und zeigt mir tolle Aufnahmen vom Jakobsweg, u. a. von der berühmten Hängebrücke (puente colgante) von Bilbao, über die wir in unserer Bilbao Zeit dutzende Male gefahren sind.

Maya (20) war der Star am 15. 9. Sie radelte von Tübingen bis Barcelona, dann entlang dem Südhang der Pyrenäen bis sie den Jakobsweg zu fassen bekam. Sie hatte ihre Konditor-Ausbildung beendet und die Prüfung als Beste von Nordrhein Westfalen bestanden.Sie zeigte uns Fotos von Köstlichkeiten aus Schokolade und Marzipan. Da teilte ihre Mutter ihr mit, dass sie zum Bundeswettbewerb eingeladen wurde. Sollte sie ihre Reise abkürze, sogar abbrechen? Ein echtes Dilemma.

David feiert bei uns seinen 35. Geburtstag (mit Kuchen und Kerze). Er ist ein Wirtschaftsopfer der Pandemie. Er hatte im Norden von Barcelona eine Kneipe (bar de copas) mit musikalischen und künstlerischen Darbietungen (60 Plätze). Durch die lange Schließung ist er jetzt ruiniert und überlegt, wie es weitergehen soll.

Francois (62) hat 40 Jahre als städtischer Gärtner in Paris gearbeitet (Jardin du Luxembourg, Tuilleries …). Er zeigte Birgitta, wie man Ableger von einer besonderen Geranienart macht. Jetzt hören wir , dass er in Galizien im Krankenhaus liegt mit Legionela. Das erzählte uns ein Techniker des Gesundheitsministeriums, der unser Heizungsanlage inspizierte. Drei Tage später kam ein anderer, um eine Heißwasser Probe zu nehmen. ‚Sollten wir etwas finden, melden wir uns‘. Es ist schon sinnvoll, Belegregister zu führe, so dass man den Weg eines Pilgers nachvollziehen kann. Es wurden natürlich auch andere Herbergen überprüft, in denen Francois übernachtet hatte.

Thomas (28) mit Mutter Jana (50), aus der Tschechei, starteten in Paris und kamen nach 52 Tagen bei uns an. Thomas ist Einzelkind. Vor drei Jahren pilgerte er von Puy en Valais (ähnlich weit wie von Paris). Seine Mutter sagte, er sei verwandelt zurückgekommen. Er wolle nun Priester werden, bete auf jeder Etappe den Rosenkranz. Thomas spricht exzellentes Englisch, was er hauptsächlich im Eigenstudium gelernt habe. Er hatte Casa Belén bewusst wegen der Kapelle ausgesucht.

Steve(28) ist waschechter Berliner. Er hat Kulturwissenschaften studiert, dann einige Jahre in verschiedenen Jobs gearbeitet, und dann längere Zeit in einer anthroposophischen Einrichtung für Behinderte. Er war auch in mehreren Bands Gitarrist. Da er fußlahm war, durfte er zwei Nächte bleiben, was er uns mit eigenen Liedern zur Gitarre und einem lieben Eintrag ins Gästebuch dankte.

Detlev und Elke (Ana) haben im Oktober wieder Pilgerdienst gemacht. Sie betreuten 54 Pilger. Am 4. Oktober kam nur Steve, ein Feuerwehrmann aus Los Angeles, der als Pensionär in Hawaii lebt. Am 9. Oktober hatten sie mit 9 Pilgern Überbelegung, aber Elke schafft immer wieder eine ‚wunderbare Brotvermehrung‘. Der junge Franzose Léo durfte wegen seiner vielen Blasen einen Tag länger bleiben. Er half uns beim Bau einer Schaukel für unsere Enkeltöchter.

 

Fast alle Pilger nehmen die Einladung zu einer Andacht nach dem Abendbrot in der Kapelle an. Das symbolische Ablegen von Sorgen in Form eines Steines wird von mehreren im Gästebuch als Erleichterung beschrieben:

I could close my ‚black period‘ of the past two years.

I felt lighter after being in the chapel.

Auch die Schale für die Glasmarmeln als Ausdruck des Dankes an das Leben, oder, für Gläubige, an Gott, füllt sich schnell.

Ab nächstes Jahr wird es Casa Belén als offizielle Herberge nicht mehr geben. Wir haben die einschlägigen Verlage der Pilgerführer auf deutsch, englisch, französisch und spanisch schon im Juni angeschrieben mit der Bitte, uns aus den Neuauflagen, bzw. den updates in den elektronischen Führern herauszunehmen.

Wir wollen uns von der Verpflichtung befreien (denn als solche haben wir es verstanden) jeden Tag zu Hause zu sein. Es ist an der Zeit, mehr Zeit für die Enkelkinder zu haben, mehr Freunde (auch in der Saison) einzuladen, vielleicht selber auf Jakobswegen zu wandern und offen für neue Projekte zu sein. Wir werden die Schilder, die zu Casa Belén führen und die Einladung vor dem Haus:

Pilger, du kannst hier bleiben zudecken.

Was ist mit unseren Freunden, die gerne Pilgerdienst in Vertretung für uns gemacht haben? Das sollte weiterhin möglich sein. Dann wäre Casa Belén eine Art ‚Libero‘ auf dem Camino. Wir können aber keine Zeiten nennen.

Die Tür der Kapelle wird aber weiterhin offen stehen für jedermann.Wir betrachten sie als wichtigen Teil unseres Auftrages, den wir gespürt haben, als wir nach Cuerres zogen.

In den zehn Jahren ist nichts aus ihr verschwunden (wir zählen die Glasmarmeln nicht nach) und es ist keine Art von Vandalismus passiert. Sie steht unter einem höheren Schutz.

Über birgittaundmanfred

ein neuer Lebensabschnitt, ein neues Projekt: Hausbau in Asturien, am Jakobsweg, mit Betten für Pilger.
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